Unsere IPR-Bestenliste für diesen Winter – wie immer nicht neu, aber gut:
„Das Lügenhaus“ von Anne B. Ragde
Mürber als jedes Vanillekipferl macht mich derzeit das Warten auf den fünften Band der Taschenbuchausgabe meiner einzigen Lieblings-Familiensaga. Im hier empfohlenen ersten Band fliegt am Sterbebett der Mutter eine verhängnisvolle Lüge auf und die drei unterschiedlichen Brüder sitzen wieder um einen Tisch: Tor der sparsame, eigenbrödlerische Schweinezüchter, der mit seinen Eltern auf einem heruntergekommenen Bauernhof lebt, Margido, der sehr korrekte, bescheidene, zurückgezogene Bestattungsunternehmer und Erlend, der Luxus und Genuss liebende, Swarovski-Figuren sammelnde Schaufensterdekorateur, der in Kopenhagen mit einem Chefredakteur liiert ist. Dazu kommt Torunn, die uneheliche Tochter des Schweinebauers. Von diesen wunderbar verschrobenen Charakteren kann frau schwer lassen.
„Island-Passion“ von Rudolf Habringer
Ob der Island-Workshop, den wir gemeinsam mit Korn-PR 2019 organisieren durften, nächstes Jahr endlich wieder stattfinden wird, ist noch fraglich. Fernweh nach der Insel aus Feuer und Eis erzeugt derweilen schon mal dieses Werk des oberösterreichischen Autors. Isländischer Lebensstil und landschaftliche Reize sind gut verpackt in einen einfühlsamen Roman über Freundschaft und Liebe, Verrat und Verlust, Schach und Musik. Zusätzliches Plus: Die Erzählung erfolgt nicht chronologisch, sondern in mehreren Zeitebenen mit Voraus- und Rückblenden.
„Die Unwissenheit“ von Milan Kundera
Irena und Josef kehren nach 20 Jahren Emigration zurück in die Tschechische Republik. Ein bezaubernder Roman über Heimweh und Sehnsucht, Emigration und Neuanfang, Vergessenwerden und Wiedererinnern. Das französische Werk aus dem Jahr 2000 erschien zunächst in einer Übersetzung auf katalanisch und kastillisch. Als irrwitzige Reaktion auf die Verrisse der vorigen Werke „Die Langsamkeit“ und „Die Identität“ – die ich ebenso uneingeschränkt empfehle. Nicht zuletzt verdient der Mut des Autors mit Weltruhm nicht in seiner Muttersprache, sondern in der Sprache seiner Wahlheimat zu publizieren, meine uneingeschränkte Bewunderung. Stilistische Armut, Steifheit und Banalität wird Kundera vorgeworfen, mir hingegen gefällt die gestraffte, reduzierte Sprache. Wie in früheren Werken vermittelt die einfühlsame Analyse zwischenmenschlicher Beziehungen verwoben mit den Verhältnissen der kommunistischen Tschechoslowakei das Gefühl etwas über das Leben, Lieben und die Geschichte gelernt zu haben.
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